Komödie ohne Titel
Nach einem Drama aus dem Nachlass von Federico García Lorca
Kurzinformationen:
Musik:
Jan Müller-Wieland
Texteinrichtung:
Jan Müller-Wieland
Musikalische Leitung:
Jan Müller-Wieland
Regie:
Jakob Peters-Messer
Bühnenbild und Kostüme:
Bettina Meyer
Licht:
Franz Peter David
Veranstaltungsort:
Uraufführung:
Muffathalle
Weitere Vorstellungen:
Muffathalle
Muffathalle
Komödie ohne Titel
Nach einem Drama aus dem Nachlass von Federico García Lorca
[...] Im Frühjahr 1992 unternahm ich eine fünfwöchige Andalusien-Reise. [...] U.a. war ich in Cadiz, Conil, Granada und Sevilla. Dort schaute ich in eine Flamenco-Schule, in der Antonio Gades unterrichtet und der berühmte ‚Carmen’-Film gedreht worden war. [...] Dieses ohrenbetäubende Gestampfe in so einer Schule muß man erlebt haben. Nirgendwo sonst kam ich mir so verkopft, ästhetisch, aufgedunsen und hülsenfrüchtig vor, wie unter diesem rabiaten ‚Lärm’-Pegel. Alles erschein mir als eine Gegenwelt, weil in dieser sozusagen letzten europäischen Folklore der hadernde Weltschmerz durch die Wucht der Tanzschritte sich verwandelt in Ekstase und Lebenslust. Etwas vollkommen Undeutsches ist der Flamenco-Tradition eigen. Ich saß in diesen Flamenco-Orgien wie ein kleiner Musikethnologe und machte mir Notizen. [...] Diese erste Notiz bildet den ‚Allegría’-Grundpuls. Er hat sechs Schwerpunkte, welche aber ungleichmäßig – gewissermaßen wankend, schwankend und trunken – der Taktart einen sehr elastischen Impuls geben. [...] Sind die ersten zwei Grundpulse gedehnt bzw. punktiert, handelt es sich um den Tanz der Lebensfreude, des Finderglückes in der Liebe, um den Tanz der Bejahung: ‚Allegría’.
[...] Wenn nun zwei ungedehnte, nicht punktierte Pulse den beiden gedehnten, punktierten Pulsen vorangestellt werden [...] ändert sich für die Flamenco-Gemüter Inhalt und Ausdruck komplett. [...] Nun geht es um Verneinung, Zorn, Eifersucht, alles Unglück der Welt. Es herrscht eine schwarze Stimmung, genannt: ‚Seguiryias’.
Die Tanzschrittpulsationen der ‚Seguiryias’ bilden in der ‚Komödie ohne Titel’ vier Pfeiler. Bitte nicht missverstehen: Es geht hier nicht um Folklore-Raub, sondern um einen internen, träumerischen Dialog von unterschiedlichen kulturellen Ansätzen. Kultur bedeutet schließlich auch, dass man sich gegenseitig zu neuen Synthesen anregt.
Meine Arbeit tendiert vom Introvertierten zum Extrovertierten und nicht umgekehrt. deshalb interessiert mich alles Wilde, und deshalb nervt mich alles Esoterische. Ich möchte meine Skizzen immer entschlacken von statischer, manischer und narzisstischer Schwermut. Und so stieß ich auf ein Traktat von García Lorca: ‚Der Cante-Jondo. Andalusischer Urgesang’. Spätestens seit dieser – mich anspringenden – Lektüre war Lorca fest in meinem Hinterhirn verankert.
(Text aus: Jan Müller-Wieland, „Fiktive Volksmusik einer imaginären Wanderbühne; Ein Werkbericht zur Komödie ohne Titel“)