Recherche. Über die Substanz der Zeit
Kurzinformationen:
Musik:
Babette Koblenz
Text und Konzept:
Hans-Christian von Dadelsen und Babette Koblenz
Musikalische Leitung:
Wolfgang Gayler
Inszenierung und Ausstattung:
Gottfried Pilz
Veranstaltungsort:
Uraufführung:
Muffathalle
Weitere Vorstellungen:
Muffathalle
Muffathalle
Recherche. Über die Substanz der Zeit
[...] „Über die Substanz der Zeit habe ich mir schon viele Jahre Gedanken gemacht und mit ersten Notizen zu einem solchen Projekt begonnen [...]. Gereizt hat mich daran die Unmöglichkeit: sich dem Thema Zeit zu nähern, ein aussichtsloses und utopisches Unterfangen. Man wird das Phänomen nie greifen oder vollständig erklären können. Wir sind nur in der Lage, bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen festzuhalten, sie mit einem fiktiven Zeitpunkt zu versehen. [...]
Das Konzept [der ‚Recherche’] ist sehr langsam gewachsen. Grundgedanke war eigentlich das Nomadendasein, die Verlorenheit, die Versprengung der Menschheit, die durch den Raum und damit auch durch die Zeit irrt. Das ist eine Konstante, die sich im Verlauf des gesamten Prozesses, den wir als Geschichte bezeichnen, nie geändert hat. Die Stationen, die ich für die Recherche ausgewählt habe, stehen als Sinnbild für diesen Gedanken: Das Trauma Babylon und die Irrfahrten des Odysseus, die Vertreibung der sephardischen Juden von der spanischen Halbinsel 1492, der spanische Bürgerkrieg. Zu diesen Stationen habe ich passende Texte gesucht und zusammengestellt.
Die historischen Ereignisse, für deren Darstellung ich mich entschieden habe, hat die Geschichtsschreibung eigentlich sämtlich etwas aus dem Blickwinkel verloren. Am deutlichsten wird das bei der Jahreszahl 1492: Welchen historischen Almanach man auch zu Rate zieht, man wird unter diesem Datum immer Kolumbus und die Entdeckung Amerikas finden – alles andere wird als Marginalie abgehandelt. ‚Recherche’ bedeutet für mich deshalb auch Erinnerung: in den Zeitstrom forschend einzutauchen, um die gewesene Wirklichkeit aus der Vergessenheit zu befreien und somit ein Zeichen gegen die Vergänglichkeit zu setzen.
Das musikalische Konzept hat sich aus der Keimzelle des Wortes heraus entwickelt, aus der Lautlichkeit des einzelnen Buchstabens, der Aufspaltung in Silben, aber auch der Melodie und Rhythmik des Rezitation, der gesprochenen Sprache. [...]
Jede der historischen Szenen hat ihre eigene musikalische Faktur. [...] Trotzdem würde ich sagen, dass es eine Stilistik gibt, die das Werk zusammenhält: Die einzelnen Töne, Impulse und Akkorde stehen durchweg in einer engen Korrespondenz zueinander. Es gibt rhythmische Tiefenschichten, polyrhythmische Strukturebenen, die in ein Beziehungsnetz treten, aber doch nicht zu einer Einheit finden. Mein musikalisches Denken könnte man mit einem Kreis vergleichen, der sich nicht schließt.“ [...]
(Text aus: Susanne Stähr, „Musik, die in der Sprache wohnt, Ein Gespräch mit Babette Koblenz über ‚Recherche’“)