Sünde.Fall.Beil
Königliche Oper in fünf Akten
Kurzinformationen:
Musik:
Gerhard Stäbler
Libretto:
Andreas F. J. Lechner
Musikalische Leitung:
Kenneth Duryea
Inszenierung:
Tobias Richter
Bühne und Kostüme:
Florian Parbs
Veranstaltungsort:
Uraufführung:
Marstall
Weitere Vorstellungen:
Marstall
Marstall
Sünde.Fall.Beil
Königliche Oper in fünf Akten
(nach Catherine Howard von Alexandre Dumas père)
Paris 1920: Erik Satie realisiert zum ersten Mal innerhalb eines Konzertabends u.a. mit Werken der Group des Six während der Konzertpause seine musique d`ameublement. Mit Handzetteln war das Publikum vor Konzertbeginn darüber informiert worden: „Wir bitten Sie dringend, ihr [der Musik] keinerlei Bedeutung beizumessen und sich während der Pause so zu verhalten, als ob keine Musik gespielt würde.“ Doch kaum hatte die musique d`ameublement begonnen, strömte das Publikum zu den Sitzen zurück. Satie schrie: „Unterhaltet euch! Geht herum! Hört nicht zu!“ – Seine Bemühungen waren umsonst: Schweigend lauschte das Publikum der Musik. [...]
Alexandre Dumas père arbeitet in vielen seiner Werke auch mit Möbeln – d.h. mit Vorstellungen, Bildern seiner Zeit und der Geschichte -, um damit als glühender Verfechter neuer republikanischer, bürgerlicher Ideen sein Publikum in ebendiesem Geist zu überfluten, aber auch zu erziehen. [...] Besonders in seinem Drama Catherine Howard, das er selbst als „extrahistorisch“, d. h. durch seine Fantasie erzeugt, klassifiziert, prangert er die alte absolutistische Ordnung und deren Figuren, Schablonen, Marionetten an.
Im Geiste des Grand Guignol, des französischen Marionettentheaters der Jahrhundertwende, das sich später auf Horrorgeschichten spezialisierte, bearbeitete der Münchner Schriftsteller und Musiker Andreas F. Lechner Catherine Howard. Er transferierte Dumas' Werk nach Art der série noire in ein (doch mögliches?!) künftiges bavarisches Königreich, durch Vergangenheit und Zukunft die Gegenwart einschließend. Wie die alte Vorlage arbeitet auch die musikalische Konzeption des frei nach Dumas gefertigten Lechnerschen Librettos mit Möbeln. Die Musik erzeugt akustische Räume für handelnde, wandelnde Möbel-Komplexe oder –Garnituren. Sie färbt bzw. taucht die verschiedenen Möbel in bestimmtes akustisches Licht, sie parfümiert, stinkt, lügt oder kontrapunktiert Lügen, sie signalisiert auch bestimmte Haltungen durch eine sprachliche Meta-Ebene, die rhythmisch und zum Teil klang-farblich das Gegenteil dessen setzt, was von den Darstellern gesungen wird. Kurz: Die Musik rückt die Spielenden, eben Möbel, Marionetten eines Ancien Régime ins groteske Licht. Dabei müsste (und würde?!) Satie heute schreien: Seht sie euch an, die Musik-Möbel, die Möbel-Charaktere, die möblierten Haltungen, das möblierende System! Seht hin! Hört hin! Genau! Auf ihre Strukturen, Mechanismen, Wirkungen, Sie leben noch. Noch!
(Text aus: Gerhard Stäbler, Über das „Grimassenschneiden“ in der Musik)