Stimmbruch
Oper für Marionetten
Brief informations:
Music:
Jörg Widmann
Buch:
Octavio di Leo
Inzenierung:
Tanja Gronde
Bühne und Ausstattung:
Ines Nagel und Hinrich Horstkotte
Venue:
World premiere:
Gasteig/Black Box
Further performances:
Gasteig/Black Box
Gasteig/Black Box
Gasteig/Black Box
Gasteig/Black Box
Gasteig/Black Box
Gasteig/Black Box
Gasteig/Black Box
Stimmbruch
Oper für Marionetten
[…] Es muss ein melancholisches Stück voller Liebe werden, und gleichzeitig erbarmungslos und hart. Meine Musik muss sich dramatisch und psychologisch völlig unmissverständlich artikulieren, denn Marionetten sind stumm.
Die musikalische Sprache für das Spiel der Marionetten ist bald gefunden. Für jede der Hauptpersonen gibt es eine Reihe mit spezifischen Intervallen, mit welchen ich so präzise wie möglich und ebenso umfassend den Charakter dieser Figuren zeichnen will. An diesen Reihen feile und arbeite ich so lange, bis diese für den Hörer selbst in der Umkehrung und im Krebs, sogar in der Krebsumkehrung fasslich werden. Sodann gilt es, diese Reihen in kontrastierende und für jede Figur charakteristische Individualmotive umzuwandeln. Denn diese Individualmotive sollen die Personen der Handlung durch das ganze Stück begleiten. Dazu wählte ich eine Variationstechnik im weitesten Sinne, um aus diesen Grundmotiven sogar die extremsten, vom Stoff geforderten Haltungen und Stimmungen entwickeln zu können. Schon im kleinen soll also im musikalischen Grundmaterial eine breite Skala an Ausdrucksmöglichkeiten angelegt sein: schwebende Melancholie, ein betörendes Miteinander von Charme, Zärtlichkeit und Liebe; andererseits aber muss die Musik auch in der Lage sein, Erschütterung auszulösen, sie soll Brutalität und Kampf schildern und die düstere Grundstimmung der Geschichte spiegeln.
Am Beginn des Stücks tritt Felix auf, ihn begleitet sein Motiv in der ‚Urgestalt’, gespielt von der Klarinette. Sie ist Felix´ Instrument, seine ‚Stimme’. Die Klarinettenmelodie bleibt hier unbegleitet; noch ahnt Felix nichts von dem, was ihm bevorsteht. Seine Stimme muss auch musikalisch ‚gebrochen’ erscheinen. Zu Anfang ist Felix noch ein kindlich-heiteres Wesen von einer hinreißenden Unbeschwertheit. Gleichzeitig aber spürt man in seiner Musik bereits Anzeichen von Melancholie. [...]
Am Ende der Oper macht sich Felix allein, nur von der Taube begleitet, ‚auf seinen Weg’ nach ‚Altrove’ (woanders). Irgendwann verlieren wir ihn aus den Augen, er verschwindet am Horizont, wo es gerade hell wird. Meine ‚Trümmermusik’ verwandelt sich langsam. Aus den Tönen der Resignation und Trostlosigkeit entsteht langsam ein großer Gesang der Liebe und des Glaubens an Zärtlichkeit und Hoffnung. Träumerisch verbinden sich Klarinette und Cello in sphärisch-visionären Klängen, der ruhige Puls des Klaviers suggeriert Abschied und Aufbruch in einem. Hymnisch und choralhaft endet dieses Werk, das mich ein halbes Jahr lang begleitet und mich selbst tief berührt hat.
(Text aus: Jörg Widmann, Stimmbruch: Ein Arbeitstagebuch)