Hauptwerke
Biennale 2006
Biennale 2006
Biennale 2006
Zum zehnten Mal findet in diesem Jahr die Münchener Biennale statt. Als Laboratorium des neuen Musiktheaters ist das Festival weltweit einzigartig. Es spricht für den außergewöhnlichen Kultursinn der Landeshauptstadt München, dass sie den experimentellen Ort, an dem neue Wege des Musiktheaters gesucht und gefunden wurden, nicht den drängenden Sparzwängen der öffentlichen Haushalte opfert. Dafür sei an dieser Stelle ausdrücklich Dank gesagt.
In den zehn Jahren, in denen ich die Münchener Biennale seit der kollegialen Stabübergabe durch Hans Werner Henze leite, war es für mich immer wieder eine erhellende Erfahrung, wie sich die thematischen Schwerpunkte der Festivals im geistigen Austausch mit den jungen Komponisten und Librettisten herauskristallisierten. Seitens der künstlerischen Leitung geben wir die Themen nicht fertig vor, sondern bringen sie als Ideen und Anregungen in das Gespräch mit den Komponisten ein. Das endgültige Motto schält sich in der Arbeit, im Dialog und gemeinsamen Nachdenken heraus – auch das kein gerader, sondern ein vielfach vermittelter, gewissermaßen labyrinthischer Prozess.
Als Motto ergab sich in diesem Jahr eine Konstellation von Begriffen, die, wie die Projekte zeigen werden, eng miteinander verknüpft sind, ohne dass sie sich zu einem Wort zusammenziehen ließen. Das liegt, wie mir scheint, in der Sache selbst. Jacques Attali, der französische Wirtschaftswissenschaftler, konstatierte: „Das Labyrinth wird schon bald die unerlässliche Voraussetzung für die Beherrschung der modernen Welt“ mit ihrer medialen Prägung sein – das Labyrinth verstanden als Denkbewegung und Technik der Erinnerung. Es verliert dadurch seinen Doppelcharakter nicht: Gefängnis oder Schutz sein zu können. Attali trifft sich mit einer Diagnose, die Arnold Schönberg in Bezug auf die Kunst vor fast hundert Jahren stellte. So scheint Kunst in ihrer Resistenz zu durchdenken, was gesellschaftlich erst später als lebenswichtig durchschaut wird. Eine solche Rolle aber kann nur widerständige Kunst ausfüllen. Um ihre Perspektiven geht es uns in dieser Biennale.
Aureliano Cattaneos Oper Die Philosophie im Labyrinth greift die Urgeschichte des Labyrinths, die Sage vom Minotaurus, auf und reflektiert sie in unsere Gegenwart: an Edoardo Sanguinetis Poesie, an der hochexpressiven, sensibel durchstrukturierten Musik Cattaneos und in mehrschichtigen szenischen Gestaltungen, in der Spannung zwischen Gesang und Tanz, zwischen Bühne und filmischen Einblendungen. Wie eine letzte Zuflucht des Individuums erscheinen Labyrinthe in Jewgenij Samjatins utopisch-kritischem Roman WIR. Christoph Staude denkt ihn in seiner Oper weiter. Der medial durchregulierten Welt setzt er die Körperlichkeit der Sicht- und Klangereignisse entgegen. Die geradlinig-quadratischen Strukturen des formatierten Seins bricht er auf, transformiert sie in Freiheit, die immer ein Fragezeichen mit sich trägt. Mit der Frage nach dem WIR eröffnen wir die 10. Münchener Biennale. Barcode führt den Ansatz von WIR mit einem neuartigen Musiktheaterkonzept weiter – mit gescratchter Musik, mit Plattenspielern als Instrumenten, mit Gesang, Aktion, Tanz.
Auf ein Fundament unserer Zivilisation blendet José M. Sánchez-Verdús Oper GRAMMA zurück: auf die Schrift, die mit labyrinthischen Zeichen begann, und ohne die unsere Zivilisation undenkbar wäre. In die Gärten der Schrift sind Sie als Hörende und Lesende eingeladen, Schrift und Zeichen vor Ihnen, Musik um Sie. Dem Labyrinth der Stadt und seinen Klängen spürt Klaus Schedl mit seinem Projekt City Scan nach. Es wurde durch das Projektstipendium Musik/ Neue Medien der Landeshauptstadt München ermöglicht.
Zwei Tage dieser Biennale widmen wir ihrem Initiator, Gründer und erstem Künstlerischem Leiter, Hans Werner Henze. Zu München hat er eine historische Bindung. Sie begann mit Karl Amadeus Hartmann und der von ihm gegründeten musica viva, in deren Konzerten Werke von Henze zum ersten Mal in München erklangen. Zu Ehren Henzes, der am 1. Juli seinen achtzigsten Geburtstag feiert, werde ich das ihm gewidmete musica-viva-Konzert selbst dirigieren. Das Gesprächskonzert am nächsten Tag wird Henzes Spätwerk in den Mittelpunkt der Diskussion rücken. – Mitten in die Thematik des Biennale-Mottos führt das Konzert der Münchner Philharmoniker – im Programm die Uraufführung eines Frühwerks von Luigi Nono – Fučik.
Eine neue Kooperation der Künste initiiert das Siemens Arts Program: In der Reihe Der Blick des Komponisten entwickeln junge Musiker Klang- und Aufführungskonzepte für Museums- und Ausstellungsräume. Das Projekt hat seine Premiere im Rahmen der 10. Münchener Biennale. Zur Biennale-Tradition gehören die Symposien der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Dieses Jahr gehen wir in vier Referaten und einer Podiumsdiskussion der Frage nach einer Ästhetik des Widerstandes nach.
Peter Ruzicka
Für die gute, produktive Zusammenarbeit und die Unterstützung unserer Projekte danken wir der GEMA-Stiftung, dem Bayerischen Rundfunk, dem Instituto Cervantes München, den Münchner Philharmonikern, Frau Nuria Schoenberg Nono, der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Glyptothek und dem Siemens Arts Program.
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