Das D'Amato System
Tanzoper in 15 Szenen
Brief informations:
Music:
Helmut Oehring
Text:
Helmut Oehring
Musikalische Leitung:
Roland Kluttig
Inszenierung:
Maxim Dessau
Ausstattung:
Paul Zoller
Venue:
World premiere:
Gasteig/Carl-Orff-Saal
Further performances:
Gasteig/Carl-Orff-Saal
Das D'Amato System
Tanzoper in 15 Szenen
„Der Titel erinnert an Cus D´Amato, den ersten Trainer und Ersatzvater des Boxers Mike Tyson. Aber nicht der Kampfsport steht im Zentrum der neuesten Oper von Helmut Oehring, sondern ein viel umfassenderes Gebiet menschlicher Kultur und Tradition: Es geht um Sprache in aller Vielfalt ihrer Erscheinungsformen. Sinn wird transportiert durch den Ausdruck von Körpern im Raum, durch Gestik und Mimik, durch Musik und Sprache. Es geht in erster Linie um den Menschen, der den Austausch mit einem anderen sucht, und um die Barrieren, die einer Kommunikation im Wege stehen.
Sprache dient der Verständigung, der Vermittlung von Gedanken, der Schaffung von Nähe. Menschen definieren sich erst durch ihre Möglichkeit des Austauschs mit anderen. Was Sprache bedeutet, ist für die hörenden Kinder gehörloser Eltern, zu denen Helmut Oehring zählt, eine Grundfrage ihrer Existenz. [...]
Während es aber für Gehörlose in einer von Hörenden dominierten Welt zu den elementaren Erfahrungen zählt, sich über gesprochene Worte, die Sprache der ‚anderen’ Gedanken zu machen, suchen die wenigsten Hörenden nach Elementen der gehörlosen Kultur. Das D´Amato-System bietet die Möglichkeit, die Synthese beider Welten zu erleben. Sprache wird getanzt, gesprochen, gesungen, gebärdet und über das Medium des Videofilms übertragen. Das Erkennen des Abgrunds von Stimme und Schrift wird zur Voraussetzung für das Hören/Sehen von ‚Anderem’, von Neuem.
Was es bedeuten kann, einen anderen Menschen instinktiv zu verstehen, seine nächsten Sätze bereits aus Andeutungen zu erahnen, zeigt der Berliner Komponist in seiner Beobachtung des Boxsports. Joyce Carol Oates beschreibt den Boxkampf als ‚eine Geschichte ohne Worte, was aber nicht heißt, dass er keinen Text oder Sprache besäße [...]; nur entsteht der Text in der Aktion, seine Sprache ist ein höchst kunstvoller Dialog zwischen den beiden Boxern [...], ein Dialog der Reflexe [...].’ Sicher ist es kein Zufall, dass gerade Helmut Oehring vor dem Hintergrund seines Lebenswegs diese Facette des Boxsports bemerkt. Denn Gehörlose entwickeln in der genauen Beobachtung ihres Gegenübers eine wohl unübertroffene Meisterschaft. [...]
Wird der Boxkampf nicht vom Ziel her gedacht, sondern als Prozeß beobachtet, so könnte man mit Joyce Carol Oates und Helmut Oehring ‚Boxer als Tänzer bezeichnen: Sie sind Körper – und sonst nichts. Sie verfügen über eine Sprache und haben einen Text.’ Dann wird deutlich, dass es im D´Amato-System nicht um den Faustkampf als Sache geht, nicht um körperliche Ertüchtigung und erst recht nicht um die gezielte Verletzung des anderen. Es geht vielmehr um das Verletztwerden, um demütigende Niederlagen, um die hoffnungslose Einsamkeit nicht nur im Boxring und um den bisher wenig erfolgreichen Versuch, zwischenmenschliche Gräben durch Sprache – in welcher Form auch immer – zu überbrücken.“
(Text aus: Susanne Stähr, Das D´Amato-System, Getanzte, gesprochene, gebärdete, gesungene Sprache)