The Mother of Black-Winged Dreams
An Opera
Brief informations:
Music:
Hanna Kulenty
Libretto:
Paul Goodman
Musikalische Leitung:
Paul Weigold
Inszenierung:
Claus Guth
Ausstattung:
Christian Schmidt
Venue:
World premiere:
Marstall
Further performances:
Marstall
Marstall
Marstall
The Mother of Black-Winged Dreams
An Opera
[...] „Die Voraussetzungen für eine spannende Zusammenarbeit mit Hanna Kulenty und Paul Goodman waren ideal: Wir führten intensive und grundsätzliche Gespräche, und erst nachdem wir uns über unsere Vorstellungen ausgetauscht hatten, zog sich Hanna Kulenty zurück und komponierte das Werk, binnen kürzester Frist, in einem Zug durch. Das Ergebnis war überraschend und entfaltete eine mir bis dahin unbekannte, sehr suggestive Sogwirkung. Das Geheimnis dieses Phänomens liegt in den Spannungsbögen, die Hanna Kulenty ungemein geschickt zieht. Sie geht dabei mit einer intuitiven, traumwandlerischen Sicherheit vor und schraubt sich mit geradezu manischer Intensität in eine Klangwelt hinein. Beim Hören ihrer Musik gab es für mich immer nur eine Entscheidung: die Kassette sofort abzuschalten oder mich auf eine hochemotionale Reise einzulassen.
Ausgangspunkt des Stücks ist die multiple Persönlichkeit der Protagonistin – die Medizin nennt diesen Zustand mit dem Kürzel MPS und führt seine Entstehung in über 90% der Fälle auf sexuellen Missbrauch in der frühen Kindheit zurück. Der Betroffene kann ein derartiges Erlebnis offensichtlich nur bewältigen, indem er seine Emotionen auf mehrere (innere) Personen verteilt. Der Schmerz muss aufgeteilt werden, und so besteht zwischen diesen sogenannten ‚Alterpersonen’ eine Art ‚Amnesie’, d.h. ein Gedächtnisverlust: Die Personen haben keine Vorstellung von der jeweiligen Lebensgeschichte der anderen, sie erinnern nicht dasselbe. So geschieht es, dass Menschen, die unter einer multiplen Persönlichkeit leiden, diesen ‚verteilten Rollen’ Namen zuordnen [...]. Ein fataler Kreislauf beginnt, in dem sich je nach äußerlicher Situation der dafür ‚Zuständige’ zu Wort meldet.
Das Medium Theater gestattet den Kunstgriff, die zuvor geschilderten Absplitterungen des Denkens einer Person auf mehrere real fassbare Wesen zu übertragen. Auf diese Weise können die einzelnen konträren Zustände und Gefühlslagen einer Person gleichzeitig gezeigt werden, vorausgesetzt es gelingt, die Sänger und Schauspieler als eine Person zu kennzeichnen. Der Ausstatter Christian Schmidt und ich versuchen, uns der Hauptfigur Clara von außen, gleichsam dokumentarisch zu nähern: der konkrete Blick aus dem Fenster, ein realistischer Raum. So entsteht eine wachsende Reibung zwischen den ungeheuerlichen Phantasien Claras und der äußerlich banalen Situation, bis sich dann im weiteren Verlauf des Stücks Realität und Imagination auf der Bühne vermischen. [...]
Vielleicht gelingt es ja – vor allem durch die Suggestivkraft von Hanna Kulentys Musik -, die sensible Grenze zwischen Realität und Imagination, zwischen Wahnsinn und Normalität kurzzeitig zu verwischen. [...]“
(Text aus: Claus Guth, Was ist wirklich, was ist normal?)